Empathie

Dem Begriff Empathie begegnet man heute an vielen Orten. Empathie soll in Unternehmen Prozesse der Selbstorganisation unterstützen oder Mitarbeiter dazu bringen „die letzte Meile“ mit Freude und Einsatz zu gehen und sogar die Servicequalität von Unternehmen verbessern. Dann habe ich neulich gelesen, Empathische Menschen wären die neuen Narzissten. Das verwirrt, wenn man mal anfängt sich mit Empathie und empathischen Prozessen zu beschäftigen.

Zunächst ist doch Empathie zumeist ein positiv besetzter Begriff und den meisten ist vielleicht eine Beschreibung wie die von Arno Gruen geläufig:

„Empathie ist die Fähigkeit, an den Gefühlen, Intentionen, Ideen und manchmal auch an den Bewegungen eines anderen Menschen teilzunehmen, sie mitzuerleben oder nachzuempfinden.“

Gruen, Arno. Dem Leben entfremdet: Warum wir wieder lernen müssen zu empfinden (German Edition) (S.27). Klett-Cotta. Kindle-Version.

Liest sich noch recht gängig. Auch Heiratsschwindler und tatsächlich auch Narzissten sind hochempathisch und nutzen das gute Gefühl, das eine empathische Begegnung hervorrufen kann, gnadenlos aus. Wer sein Herz öffnet, macht sich auch verletzlich.

Und was würde passieren, wenn ein jetzt empathisch geschulter Verkäufer von hochwertigen Autos seinem Kunden vom Kauf eines teuren Autos abraten, stattdessen auf das Bedürfnis des Kunden nach Stärkung dessen Selbstwertes eingehen und mit ihm alternative Strategien zu Erfüllung dieses starken Bedürfnisses entwickeln würde.

Wenn Verkäufer in Empathie geschult werden, nehme ich an, dass es nicht wirklich um empathische Prozesse geht.

Im ersten Beispiel des Heiratsschwindler oder auch der Heiratsschwindlerin ist meist wirkliche Empathiefähigkeit im Spiel, die als Strategie für die Erreichung seiner oder ihrer eigenen Zwecke ausgenutzt wird.

Oder vielleicht hatte schon mal jemand mit Narzissten zu tun, die ganz schnell herausfinden, wie sie ihr Gegenüber verletzen können, wenn der oder die nicht bereit ist, ihre Bedürfnisse zu erfüllen.

Wo also Empathie drauf steht ist nicht immer (die gewünsche) Empathie drin und bei Empathie kommt es stark auf die Haltung des Empathiegebers an. Mit Haltung meine ich: wozu ist jemand grade empathisch? Um mich zu manipulieren oder um mich zu unterstützen? Wenn in Unternehmen empathische Prozesse eingeführt werden, damit die Mitarbeiter auch die berühmte letzte Meile gehen, ist das ziemlich klar Manipulation, was Mitarbeiter aber ziemlich schnell merken. Sie können gerne mal in beruflichen, sozialen Netzwerken nach dem Begriff Empathie suchen.

Wenn Unternehmen Raum und Zeit für empathische Prozesse mit der Absicht schaffen, ein menschliches Miteinander in Unternehmen zu ermöglichen, ist schon ein anderes Szenario.

Was sind denn nun empathische Prozesse: Empathie braucht zur aller erst Vertrauen in den Empathiegeber. Vertrauen, dass mir ein Mensch begegnet und keine Rolle als z.B. der Abteilungsleiter, der Chef, der professionell nette Berater. Das ist natürlich in Unternehmen erstmal sehr schwierig, umzusetzen. Kann aber funktionieren.

Dann bedeutet es für den Empathiegeber, bedingungslos zu akzeptieren, was im Gegenüber vorgeht. Das bedeutet keine Urteile fällen oder Vorbehalte entwickeln.

Dazu kommt noch die Fähigkeit sich so in den anderen hineinzuversetzen, als ob man er selbst wäre. Das heißt in der Konsequenz, ich verurteile nicht, ich kritisiere nicht und ich beziehe mich nicht auf mich selbst.

Das ist erstmal höchst verschieden von Sätzen wie: „da kann ich Dich gut verstehen“, „ich habe das gleich erlebt, wie das was Du gerade erzählt hast, und hab dann das und das gemacht“, „ist doch nicht so schlimm, das wird schon wieder, da musst Du halt jetzt durch.“ Das sind alles Aussagen, die sich auf mich und mein Verständnis beziehen, aber weg von dem gehen, was der andere gerade fühlt und braucht.

Ich kann dem anderen dabei gerne anbieten, was bei mir an Gefühlen und Bedürfnissen ankommt – aber halt nur anbieten, so dass der andere sagen kann, nein so ist das nicht. Wenn man mit dem Angebot richtig liegt, merkt man recht schnell, wie das Gegenüber sich entspannt, oder wieder durchatmet.

Das hört sich vielleicht alles schwierig und kompliziert an und lässt sich vielleicht anderswo vereinfachter nachlesen. Was oft vergessen wird, ist der Aspekt der Selbstempathie. Marshall Rosenberg, der Begründer der Gewaltfreien Kommunikation, schrieb einmal, dass es sehr schwierig sei, empathisch zu sein, wenn man keinen Zugang zu seinen eigenen Bedürfnissen habe! Wenn ich meine eigenen Bedürfnisse schon nicht so genau kenne, reagiere ich vielleicht, wenn ich empathisch sein will, irgendwie auf Bedürfnisse des Gegenübers, weil das grade auch unbewusst meine eigenen Bedürfnisse sind. Das kann starke Gefühle auslösen, mit denen ich u.U. erstmal nicht umgehen kann und auf die andere Person übertrage.

Was bedeutet Selbstempathie? Es bedeutet die Auslöser zu verstehen, warum ich in manchen Situationen zornig, beleidigend, abwertend reagiere (auf mich selbst oder andere) oder mich zurückziehe und verstumme. Das hat meist mit Bedürfnissen zu tun, die in mir nicht erfüllt sind und denen ich keinen Ausdruck geben kann oder mir nicht erlaube, sie auszusprechen. Sehr oft lohnt sich dann ein Rückblick in die Biografie. Vielleicht kenne ich meine Reaktionen schon von frühester Kindheit an. Vielleicht habe ich mich damit geschützt, weil mir meine Eltern bestimmte Bedürfnisse nicht erlaubt haben.

An diese Orte in der Biografie zurückzugehen, ist manchmal recht schwierig, weil es da auch um Gefühle wie Angst, Zorn oder Verzweiflung geht. Hier hilft es dann, eine Vertrauensperson mit einzubeziehen, die einen mit durch den Prozess der Selbstreflexion trägt und nicht in diesen Gefühlen versinken lässt. Auch, wenn das schwer fallen mag, aber wenn einem diese in der Kindheit oder Jugend unerfüllten Bedürfnisse bewusst werden, löst das einen Prozess der Trauer aus. Und das arbeitet auch im Unbewussten weiter, so dass ich ganz anders mit diesen Auslösern im Alltag umgehen kann.

Wenn ich mir bewusst über meine Auslöser bin, kann ich auch die Verantwortung dafür übernehmen, und nicht jemand anders aufbürden. Dann ist mein Gegenüber keine Objekt mehr, sondern ein eigenständiges, selbständiges Subjekt, das aus sich heraus etwas bewirken und seinen Sinn in der Welt verwirklichen will.

Das braucht am Anfang seine Zeit, aber es sind meist nicht so viele biografische Bereiche, die hier aufgesucht werden müssen. Aber man sollte das zu Beginn öfter mal tun.

Ich selbst durfte schon mehrfach eine empathische Begleitung im Rahmen von Coaching erleben. Und es war für mich eine besondere Erfahrung, wenn mir jemand bedingungslos zuhört und mich nicht verurteilt oder gleiche gut gemeinte Ratschläge gibt. Mit verurteilen meine ich auch, wenn jemand sagt, ja ist doch alles nicht so schlimm, ist doch schon so lange her.

Leider können auch Situationen, die schon lange her sind, auch heute noch recht präsent wirken. Das geschieht durch in uns gespeicherte Erlebnismuster (neuronale Netzwerke). Die Eckdaten von Erlebnissen, die mit Emotionen verbunden sind, gehen für unseren Organismus nicht verloren. Eckdaten können Geräusche, Laute, Musik, bestimmte Wörter, Umgebungen, Beschreibungen u.v.m sein. Sie können Auslöser für bestimmte Verhaltensweisen und Emotionen sein. Emotionen werden nicht explizit gespeichert, sondern jedes Mal bei Aktivierung eines solchen Erlebnismusters neu erzeugt.

Die Gefühle, die bei Aktivierung dieser Erlebnismuster (aufgrund bestimmter Auslöser), entstehen sind also nicht eine vage Erinnerung an längst vergangene Gefühle, sondern sehr akut und präsent. Gefühle sind mit erfüllten oder unerfüllten Bedürfnissen verbunden. Sind das Bedürfnisse, die in früheren Erfahrungen nicht erfüllt werden konnten oder durften, reagieren wir meist auch so wie früher: z.B. aggressiv zur Verteidigung oder Rückzug und Anpassung an die Bedürfnisse wichtiger Bezugspersonen zum eigenen Schutz.

Diese Reaktionen mögen von außen betrachtet heute nicht mehr angemessen erscheinen. Sie waren aber vielleicht einmal wichtig für das (emotionale) Überleben eines Kindes oder Jugendlichen. Unter diesem Aspekt waren die Reaktionen lange hilfreich, wurden weitestgehend automatisiert und sind dann heute immer noch präsent.

Es lohnt sich, sich damit auseinanderzusetzen und anzuerkennen, dass mir selbst heute unangenehme Verhaltensweisen durchaus mal sehr hilfreich, nützlich und sogar überlebenswichtig gewesen sein können. Hier sind empathische Prozesse, ob von außen oder durch Selbstreflexion, ungemein hilfreich. Für beides braucht es etwas Erfahrung.

Das liest sich vielleicht etwas komplex, passiert aber in guten Momenten oder Gesprächen ganz automatisch. Da bin ich ganz beim Anderen, jetzt in dem Moment – ich projiziere nichts auf den oder die Andere – wenn doch etwa in mir hochkommt, das nur mir zuzuordnen ist, kann ich das für später für mich parken und zurückstellen. WIe oben geschrieben hilft es aber ungemein, sich seiner eigenen Bedürfnisse und Gefühlen bewusst zu sein, Dann komme ich nicht in Versuchung, das anderen aufzubürden. Obwohl sich das wohl auch nie ganz vermeiden lassen wird. Wobei man sich dann hinterher auch nicht verurteilen sollte, sondern sich das im Nachganz einfach nochmal anschauen sollte.

#Empathie #Selbstreflexion #GfK


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