Ist die Gewaltfreie Kommunikation (GfK) nach Marshall Rosenberg alltagstauglich?

Ist die Gewaltfreie Kommunikation (GfK) nach Marshall Rosenberg alltagstauglich?

Vielleicht kennen Sie auch die Aussagen von Mitmenschen, die von der GfK und/oder von Marshall Rosenberg sehr begeistert sind, dass Gewaltfreie Kommunikation im Alltag nicht so richtig funktionieren mag. Oft wird bemängelt, das Sprechen in vier Schritten sei schwierig, weil man viel zu lange braucht, bis man sein Anliegen „richtig“ formuliert hat. Und wenn man es dann mal geschafft hat, schaut man einem das Gegenüber etwas verwirrt an und fragt vielleicht, was man eigentlich weil, obwohl man doch auch so ein schöne Bitte am Ende formuliert hat.

Ja, das kann enttäuschend sein. Bei dem Wochenendseminar, bei dem man mit der Gewaltfreinen Kommunikation vielleicht zum ersten mal näher in Kontakt gekommen ist, hört sich das alles einleuchtend und faszinierend an. So ging mir das auch. Bei einer Einführungstagung zur GfK habe ich mich mit einer Mitteilnehmerin unterhalten und wir waren beide baff über die Erkenntnis, das wir auch Bedürfnisse haben dürfen, ohne uns gleich als egoistisch zu betrachten. Auch die Gespräche unter Einsatz der vier Schritte – oft in kleinen Rollenspielen – waren sehr gut und ich ging mit einem guten Gefühl nach Hause. Ich habe dann im Alltag ausprobiert, was ich gelernt habe und dann auch schnell wieder die Lust verloren.

Also doch nicht so alltagstauglich? Doch, zumindest wenn man die Gewaltfreie Kommunikation nicht alleine als Tool, als Vier-Schritte-Werkzeug betrachtet. So wie ich die Gewaltfreie Kommunikation verstehe, ist sie kein Kommunikationstool und auch keine Sprachform.

Die vier Schritte – also beobachten ohne zu bewerten, Gefühle erleben und sie von Gedanken und Stories unterscheiden, Bedürfnisse wahrnehmen und sie von Strategien zu unterscheiden und konkrete Bitten, die zu Erfüllung meiner Bedürfnisse hilfreich sein können, stellen ohne sie vom Gegenüber einzufordern – sind ein sehr hilfreiches Werkzeug, um herauszufinden, wie es Marshall Rosenberg ausgedrückt hat, was in mir lebendig ist und was im Anderen lebendig ist.

Bevor ich mich überhaupt damit beschäftige, wie ich mit anderen besser kommunizieren kann – mit vier Schritten oder irgendwelchen anderen Tools – geht es darum, erstmal zu sich selber zu schauen. Wie sehe ich die Welt? Wie sehe ich andere Menschen? Hier stellen die vier Schritte ein sehr hilfreiches Mittel dar, nach einem Konflikt auf sich selber zu schauen. Was ist da genau passiert in der schwierigen Situation? Ohne zu bewerten – ohne den anderen abzuwerten – ohne mich selber abzuwerten – einfach nur mal in einer ruhigen Minute hinschauen.

Das ist, so habe ich es erlebt, gar nicht so einfach, weil oft irgendwie ganz automatisch noch viel mehr an Gedanken und Geschichten mitkommt. Wenn der andere das und das gemacht hätte, wäre alles ganz anders gelaufen – wenn ich nicht so blöd gewesen wäre und das und das gemacht hätte, hätte ich die Oberhand behalten. So einfach mal relativ faktenorientiert eine Situation zu beschreiben ist nicht so einfach – aber enorm hilfreich. Weshalb? Bereits bei diesem ersten Schritt bewege ich mich unmerklich in eine Beobachterposition, d.h. ich distanziere mich von der erlebten Situation und vielleicht auch schon von den erlebten Gefühlen. Humberto Maturana nennt das eine Metabeobachterposition – Gunter Schmidt eine Metaposition mit Wahlmöglichkeiten – Viktor Frankl spricht von Selbstdistanz.

Die vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation sind ein exzellentes Mittel, zu sich zu schauen, zu erforschen, was meine Vorstellungen und Annahmen über die Welt und über andere Menschen sind. Wenn ich besser und/oder anders mit anderen umgehen will, hinzuschauen, was ist da gerade passiert, wenn es wieder mal geknallt hat. Was hat das mit mir zu tun? Gibt es da vielleicht Bedürfnisse, die ich mir selber nicht erlaubt habe? Darf der andere die dann auch nicht haben? An dieser Stelle ist auch ein Blick in die eigene Biographie oft hilfreich. Wurden mir überhaupt eigene Bedürfnisse überhaupt zugestanden? Oder musste ich eher die Bedürfnisse meiner Eltern, Lehrer oder anderer nahestehender Personen erfüllen?

Mal auf sich selber zu schauen, ja auch mal wohlwollend zu schauen, hilft ungemein. Gerade mal eine Beobachterposition einnehmen zu können oder zu dürfen, hilft schon von Verurteilungen, Schuldzuweisungen oder Feindbildern etwas Abstand nehmen zu können. Und man lernt die Auslöser und Impulse kennen, die einen vielleicht anderen gegenüber explodieren lassen oder zum frustrierten Rückzug aus einem Konflikt bewegen.

Man kann auch die vier Schritte nehmen und auf das Gegenüber schauen, mit dessen Verhalten ich gerade Probleme erlebe. Auch hier kann ich versuchen, eine Beobachterpositionen einzunehmen. Anzuschauen, was wirklich passiert ist, was der andere für Gefühle hat, was er brauchen könnte. Auch das wird meist nicht direkt in einer als stressig oder problematisch empfundenen Situation funktionieren. Auch diese Betrachtung kann man zunächst mal im Nachgang machen.

Dafür hilft es natürlich, wenn ich meine Auslöser kenne, die mich abwertend, zornig oder vielleicht aggressiv werden lassen.

Das alles erfordert ein wenig Übung und vielleicht auch einen wohlwollend begleitenden Menschen oder eine Gruppe, die einen vielleicht dabei unterstützt, auch dabei zu bleiben, wenn es mal nicht so angenehm ist, auf sich selber zu schauen. Nicht weil, man was so blödes oder unangenehmes gemacht hat, sondern weil man bestimmte Situationen z.B. aus der Kindheit oder Jugend nicht mehr anschauen will, weil die damit verbundenen Gefühle so schmerzhaft waren. Ich wurde von Mutter gerne von anderen bloßgestellt, wenn ich etwas gesagt oder getan hatte, was nicht in ihr Weltbild passte. Das nochmal anzuschauen und zu merken, was das noch für Auswirkungen in meinem Leben als Erwachsener hatte, war nicht einfach und es war für mich hilfreich jemand dabei zu haben und wenn es „nur“ sozusagen eine Zeugenschaft war für das was ich erlebt hatte.

Also, ja, die gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg ist alltagstauglich, aber nicht als Sprachmodell oder Kommunikationsmodell, sondern als Haltung sich gegenüber und als Haltung anderen gegenüber. Bei sprachlichen Verrenkungen merken Menschen schnell, wie das gemeint ist – oft nur als Hilfsmittel um meine eigenen Zwecke zu verfolgen. Wenn ich mein Haltung lebe, merken das die Menschen auch unabhängig von den Worten oder Formulierungen, die ich verwende.

Eines möchte ich gerne noch zum Schluss erwähnen. Marshall Rosenberg ging es mit der Gewaltfreien Kommunikation sehr stark auch darum, soziale Strukturen zu verändern. Er hat in vielen Vorträgen und Büchern analysiert, warum massive Konflikte, Streit und Kriege entstehen – dass das (auch) mit Erziehung und eben sozialen Strukturen hat. Schon wie wir aufwachsen – oft mit Schuld, Scham und Angst. Es ging ihm, zumindest verstehe ich das so, nicht darum, dass wir irgendwie einfacher und frei von Konflikten leben können und dabei einfach so unser Leben vor uns hin genießen können, egal was um uns rum passiert. Er stellte sich z.B. ein Wirtschaftssystem vor, in dem Menschen entsprechend ihrer Bedürfnisse arbeiten und nicht einseitig nur die Bedürfnisse anderer erfüllen. Er hat sich auch ein anderes Rechtssystem vorgestellt (Stichwort: Restorative Justice), in dem auch Verbrecher weiterhin als Menschen gesehen werden, die sich ihre Bedürfnisse erfüllt haben – aber mit Strategien, die oft tragische und vernichtende Folgen haben.

Das klingt heute utopisch angesichts dessen, was in der Welt passiert. Aber Marshall Rosenberg hatte immer den anderen Menschen, so fremd und bedrohlich er auch erscheinen mag, als menschliches Wesen im Blick. Alleine diese Einstellung und Haltung verdient Respekt und lädt hoffentlich auch zur Nachahmung an. Auch wenn es nicht immer gelingen mag. Aber auch dafür sollten wir uns selber nicht verurteilen.

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